Ach, herrjeh, die Wirtschaftsflüchtlinge

„Die wollen doch alle nur Asyl, obwohl die eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge sind. Sie wollen doch auch, dass die alle, alle Asyl bekommen, Frau Müller!“

„Nöh, will ich nicht. Halte ich wirklich für durchgeknallten Blödsinn. Der Mensch sollte arbeiten können, wo es Arbeit für ihn gibt. Drehen wir endlich dem bürokratischen Kraken die Luft ab und lassen Leute Dienstleistungen jedweder Art anbieten, ohne dass sie im Dschungel von Vorschriften ersticken. Angebot und Nachfrage regeln das dann schon.“

„Ja, aber dann nehmen die Zugezogenen doch auch noch den Einheimischen die Arbeitsplätze weg!

„Ach ja? Konkurrenz belebt das Geschäft. Ernsthaft: Dir nimmt ein, wie nennst du sie noch, ungebildeter Kameltreiber den Arbeitsplatz, deinen Arbeitslosenposten weg? Oder drückt er gar die Löhne? Dann wird es Zeit, mal wieder deinen Arsch für Arbeiterrechte und so in Bewegung zu setzen. Ich glaub gar, der Kameltreiber wäre da ein richtig guter Kumpan dazu. Der hat nämlich auch keinen Bock für 2,50 Euro die Stunde zu schuften. Du kämpfst gegen die falschen Leut, mein Freund. Sich solidarisieren und gemeinsam für das Recht auf faire Arbeit und/oder Bürgerlohn käme echt gut. Für alle Beteiligten. Auch für dich.“

Gesetze... und...

Weil in der elendigen Bekleidungsdiskussion immer öfters das (Todschlag) Argument auftaucht: „An Gesetze muss man sich eben halten, egal wie bescheuert sie sind!“ hier ein paar morgendliche Gedankensplitter dazu.

Gesetze sind nicht von Göttern gegeben, sondern werden von Menschen gemacht.
Sie sind nicht in Stein gemauert. Gesetze verändern sich, da sie immer in reale historische, kulturelle, machtpolitische Prozesse und Kontexte eingebunden sind.

Menschen verändern Gesetze, indem sie dagegen argumentieren, protestieren, demonstrieren. Vieles, was uns heute so selbstverständlich erscheint und in die Gesetzgebung eingeflossen ist, basiert darauf, dass Menschen sich aktiv gegen bestehende Gesetze gewehrt und für deren Veränderungen gekämpft haben.

Ja, Gesetze regeln das menschliche Zusammenleben sinnvoll  und es macht auch ausgesprochen viel Sinn, dass man sich an sie hält. Doch hin und wieder kommt es vor, und auch das macht Sinn, denn sonst hätten wir noch eine Gesetzgebung wie vor tausenden von Jahren, dass man diese verändert. Meistens gehen solchen Veränderungen Umdenkungsprozesse in der Bevölkerung voraus. Wird geltendes Recht als Unrecht empfunden, kommt Bewegung auf. Ist diese Bewegung bewegend genug, passt der Gesetzgeber (in demokratisch strukturierten Gesellschaften, wir reden hier nicht über Diktaturen jedweder Couleur) die Gesetze entsprechend an (siehe Wahlrecht, Arbeitsrecht, Frauenrechte, Kinderrechte, Antidiskriminierungsrechte, Gleichstellungsrechte, etc., etc.). 

Und ganz oft beginnt es damit, dass einzelne Menschen beginnen einzelne Gesetze in Frage zu stellen und anfangen anders zu leben, ihr AndersSein nach außen tragen (oft zahlten/zahlen diese „Anfänger“ einen hohen persönlichen Preis dafür) und dann immer mehr Anhänger finden, die, in welcher Form auch immer, in der Öffentlichkeit Stellung beziehen und sich über das Für und Wider kreativ streiten. Ich halte das für eine ganz normale und im Prinzip „gesunde“ Entwicklung, auch wenn dabei oft, geschuldet in der Regel den jeweiligen machtpolitischen Verhältnissen, auch schreiender Unsinn herauskommen kann. Aber auch gegen diesen werden sich letztendlich wieder Menschen wehren und es wird zu neuen Veränderungen kommen.

Sich an geltende Gesetze zu halten ist richtig und gut. Es ist die Grundlage einer friedvollen und kooperativen und solidarischen menschlichen Gemeinschaft. Über geltende Gesetze immer wieder nachzudenken, sie immer mal wieder in Frage zu stellen und sich auch gegen einzelne aktiv zu wehren und Veränderungen zu bewirken ist ebenfalls gut. Denn das zeichnet ein lebendiges und dynamisches Rechtssystem aus. Und das ist etwas, was wir meiner Meinung nach zum Beispiel in Deutschland immer noch haben und für das es sich zu streiten und zu kämpfen lohnt.

Blinde und unreflektierte Anpassung an bestehende Gesetze  birgt die Gefahr des Kadavergehorsams in sich. Mündige BürgerInnen setzen sich mit den herrschenden Gesetzen aktiv auseinander und befolgen sie aus Einsicht und Akzeptanz: Ich stehle nicht, nicht weil es im Gesetz steht, sondern weil ich Diebstahl in den meisten Fällen für untauglich für eine funktionierende Gemeinschaft halte. Ich töte und verletze keinen anderen Menschen, weil  es meiner inneren Überzeugung widerspricht. Ich akzeptiere das AndersSein eines anderen, nicht weil das Gesetz es mir vorschreibt, sondern weil nach meiner Weltsicht dies wichtig und richtig für eine friedvolle Gesellschaft ist. Und so viele andere Beispiele. Und wenn ich all das dann auch noch in der Gesetzgebung meines Landes wiederfinde, dann bin ich erstens zutiefst zufrieden und zweitens eine ausgesprochen gesetzestreue Bürgerin. 

Burkagedöns

Mal Klartext von meiner Seite: Ich lehne das ganze Verschleierungsgedöns als vorgeschriebene Kleidervorschrift absolut ab. Und ich weiß, wovon ich spreche, denn ich war im Iran, als eine sichtbare Haarlocke locker auch ein Todesurteil bedeuten konnte. Ich lehne es ab, wenn Frauen dazu gezwungen werden den Mist zu tragen um der verquasten Ehrbarkeit des männlichen Teils der Familie Genüge zu tun. Ich lehne es ab, wenn das Tragen als Herrschafts-/Unterdrückungs-/Demütigungsinstrument eingesetzt wird, weil das kleine Männchen sich sonst vor der, nicht zu Unrecht vermuteten, ungezügelten Frauenpower vor Angst in die Hose kackt. Ich lehne es ab, wenn irgendwelche Religioden meinen ihre Selbstzweifel und  Minderwertigkeitskomplexe mit dem Schleiergebot verschleiern zu müssen. Aus diesen und noch einigen anderen Gründen lehne ich ein Verschleierungsgebot ab. Punkt.

Aber!, (ja ich kann auch in aber) die, die sich da jetzt aufplustern für die Gleichberechtigung und Freiheiten der Frauen, das sind doch genau diejenigen, die mich seit Jahrzehnten als Frau, mit ganz eigenen Vorstellungen über das Leben, nerven, diskriminieren und klein halten wollen. Die sich, seitdem ich denken kann, eifrig darum bemühen mir einzureden, wie sich eine richtige Frau oder Mutter zu verhalten, zu kleiden, zu pupsen hat. Das sind doch genau diejenigen, die sich immer wieder in ihrem Hass auf jedwedes AndersSein moralintriefend ereifern und alles kontrollieren und zu Tode regeln wollen. Die alles, was mir Lebensfreude, tiefe Befriedigung und Selbstverwirklichung verheißt, mit Regeln, Geboten, Gesetzen und Verordnungen in den Boden stampfen. Von denen, exakt von den laut geifernden, zumeist männlich selbstherrlichen Despoten, würde ich mir nicht mehr sagen lassen, was für mich richtig und was falsch sei, denn, unterm Strich kommen genau sie aus der gleichen Ursuppe wie die Verschleierungsfanatiker. Bäh. Pfui Deibel.

Wenn betroffene Mädchen und Frauen, und ja auch Männer, sich wehren gegen das Gebot der Verschleierung, dann hatten und haben sie meine volle und ganze Unterstützung. Mit ihnen diskutiere, streite, wachse ich. Wenn meine Schwester meint, sich verschleiern zu müssen, dann höre ich ihr gut zu und bringe mich mit meinen Argumenten ein. Aber, ich werde ihr nichts verbieten. Ich werde da sein und sie wieder und wieder in den Arm nehmen, sie gegen Übergriffe mit allem was ich bin und kann verteidigen und nicht nachlassen, mit ihr über das Tragen von Schleier und Dingens zu streiten. So, und nur so, fühlt es sich für mich richtig an.


*Anmerkungen

1. Welch eine Anmaßung im VerschleierungsDiskurs überhaupt so einen Begriff wie "erlauben" ins Spiel zu werfen.
Als Frau bekomm ich da einen Schreikrampf:
"Ich, als Mann, erlaube dir nicht ohne! Kopfbedeckung auf die Straße zu gehen!"
"Ich, als Mann, erlaube dir nicht mit! Kopfbedeckung auf die Straße zu gehen!"
Wollt ihr mich verarschen? Steckt euch eure Erlaubnisse doch irgendwo hin!

2. Wenn das Mädchen oder die Frau gezwungen wird sich zu verschleiern, dann greift das Strafgesetzbuch. Und das ist richtig so. Das muss in die Köpfe rein. Kein Verbot und so ein Mist, sondern Rechtskunde. Das Wissen, was nach den Gesetzen geht und was nicht. Da braucht es keinen Religionsdiskurs oder Verbotsgedöns und all den Mist. Alles doch schon da. Es hat auch eine lange Weile gebraucht, bis Frauen sich hier im Lande getraut haben, ihren gewalttätigen Mann zu verlassen, rauszuschmeißen, sich außerhäusliche Hilfe zu holen. Das braucht ein biss Geduld und viel Aufklärung. Schulen, Medien, etc. hallo! macht mal!

3. Es gilt bei den Frauen und Mädchen durch Gespräche, Aufklärung, Vorleben ein Gespür dafür bei ihnen zu entwickeln helfen, ob sie wirklich selbst wollen, was sie wollen müssen. Sie müssen das, was auch meine Generation mühsam lernen musste, halt auch lernen. Das geht doch nicht von heute auf morgen.

4. "Sie könnte drunter eine Waffe tragen. Darum!"
"Stimmt, es waren bisher doch nur überwiegend Männer, total verschleiert. Aber mit Pass. Immerhin!"

5. Wieso haut ihr eigentlich auf die verschleierten Frauen ein? Wenn es stimmen sollte, so wie es die VerbotsanhängerInnen ja behaupten (und ich nicht denke), dass es eine von der Religion (und die ist in diesem Fall ausschließlich männlich bestimmt) vorgegebene Kleiderreglung ist, dann setzt euch doch gefälligst mit den Männern auseinander. Euer Bestreben hat, wenn schon, denn schon, schlichtweg den falschen Adressat. 

Ach, die Zigeuner

„Natürlich haben Zigeuner Gründe, ihre Gegend zu verlassen. Weil sie aufgrund ihres Verhaltens nirgendwo lange geduldet werden.“

Sie wurden und werden vor allem nirgendwo geduldet auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmtem Volksgruppe. Die Erfahrung, auch meine ist nämlich, als Roma/Sinti kannste dich wohlverhalten bis zum Anschlag, unterm Strich bekommst du trotzdem eine in die Fresse und wirst diskriminiert. Es zählt nur die Zugehörigkeit. Sippenhaftung inclusive. Und ja, so unangenehm das für manchen ist, wir als Gesellschaft haben eine Verpflichtung etwas dagegen zu unternehmen und zu unterstützen.

Und ansonsten: Ja, es gibt auch – welch Überraschung - bei den Roma/Sinti Leute, denen es an einem angemessenen Sozialverhalten mangelt. Dafür gibt es im Allgemeinen das Ordnungs- und Strafrecht und im privaten Umgang die deutlichen Grenzsetzungen. Und da geht es eben nicht mehr vorrangig um irgendeine Zugehörigkeit zu einer Volks- oder SonstwieGruppe, sondern um konkretes Verhalten. Oder glaubst du, ich lasse mir von irgendjemand, egal mit welchem gesellschaftlichen Status, über meine Grenzen trampeln? Eben. Da ist mir Zugehörigkeit zu irgendwas wirklich egal.

Du wirst gehen

Du wirst gehen.

Du willst nicht gehen. Willst deine Mutter und die kleinen Geschwister nicht verlassen. Du kannst sie doch in all dem Elend und in all den Gefahren nicht alleine lassen.

Du wirst gehen. Dein Vater und deine zwei Brüder wurden erschossen. Du bist jetzt der älteste Mann in deiner Familie. Du kannst jetzt nicht gehen.

Du wirst gehen. Du bist gerade sechzehn Jahre alt geworden. Ein Kind noch, doch alt genug, um von einer der Milizen an die Waffe gezwungen zu werden. Sie kreisen seit Tagen um euer Haus. Deine Mutter hat sie schon mehrmals von der Türschwelle weg gejagt. Du darfst das Haus nicht mehr verlassen. Deine Mutter hat Angst. Seit Jahren hat sie Angst, um ihren Mann, die Kinder, um dich. Du willst nicht gehen.

Du wirst gehen. Sie weint, sie schreit, sie fleht, sie bittet. Deine Mutter lag vor dir auf den Knien und bettelte dich an, dich in Sicherheit zu bringen. Sie sagt, dass alles besser ist für sie, wenn sie nur keine Angst mehr haben müsse, dass du tot geschossen wirst oder andere Menschen tot schießen musst. Du willst nicht gehen.

Du wirst gehen. Sie weint, sie fleht, sie bittet. Sie hat alles Entbehrliche auf dem Schwarzmarkt verkauft. So hast du vielleicht eine kleine Chance, bis über die Grenzen und auf ein Schiff zu kommen. Diese klitzekleine Chance, die doch so viel größer ist als jene des Hierbleibens. Du willst nicht gehen.

Du wirst gehen. Weil du den Schmerz deiner Mutter nicht mehr aushalten kannst. Weil dein Gehen ihre einzige Hoffnung in ihrem Leben sein wird. Ihre einzige Möglichkeit zum Überleben ist diese Hoffnung. Weil sie ihr Kraft gibt. Sagt sie. Weil das Wissen, dass du leben wirst, ihr Leben am Leben erhalten wird. Du willst nicht gehen.

Du wirst gehen. Es wird dir dein Herz brechen und deine Seele in tausend Stücke zerreißen. Aber ihr Herz wird dadurch noch eine Weile schlagen können.

Du wirst gehen.