Du verstehst es nicht

Das ist etwas, was so schwer zu vermitteln ist und was ich so oft gehört, miterlebt, begleitet habe in letzten Jahrzehnten: "Du denkst ich bin hier, weil es bei euch so toll ist; weil ihr so herzlich einander zugewandt seid; weil euer Land so wunderschön ist; weil so viel soziale Wärme herrscht unter euch; weil euer Gesundheitssystem, eurer Sozialsystem so Klasse sind; weil ich hier Geld für meine Arbeit bekomme; weil ich hier nicht verhungern muss, wenn ich keine Arbeit habe; weil, weil, weil ... Du missverstehst es völlig: Ich bin hier, weil ich in meiner Heimat nicht überlebt hätte. Nur aus diesem einzigen Grunde. Weißt du eigentlich, was das heißt? Nicht überleben können? Ich bin hier und ich bin dankbar, dass ich lebe. Doch innerlich zerfrisst mich das Heimweh. Ich weine jeden Tag, jede Nacht. Und ich würde all euren Wohlstand, all eure Almosen, all euer tolles Leben hier jetzt und sofort eintauschen dafür, dass ich nach Hause könnte. Wenn ich zu Hause nur leben, hörst du, leben könnte. Ohne diese ständige Angst vor Folter, Tod, Vergewaltigung, Hunger, Durst. Ohne diese Verzweiflung, diese Ungewissheit, ob ich den nächsten Tag noch da sein werde. Ich will hier nicht sein. Aber ich bin hier. Weil ich sonst tot wäre.“

Ja, ich kann das verstehen. So sehr, dass es mich schmerzt. Und ich kann es nicht lösen.

Sippenhaftung

„Gestern Abend im "Hexenkessel" in Langenselbold. Tisch war reserviert. Bevor wir noch die Getränke bestellen konnten, kam die Besitzerin an den Tisch und meinte, wir sollten bitte gehen. Begründung: Sie wolle keine Zigeuner in ihrem Lokal. Sie habe schlechte Erfahrungen mit solchen Leuten und könne uns ihren anderen Gästen nicht zumuten.“

Ich nenne das Rassismus.

Sippenhaftung. Irgendwie dachte ich, das sei Geschichte. Ich habe das vor vierzig Jahren erlebt, als ich den Vater meiner Kinder heiratete. Es ist Iraner und es war oft ein Spießrutenlaufen. Es schien mir mit den Jahren besser geworden zu sein. Nun, ich habe mich wohl geirrt. Es war anscheinend nur ein Luftholen. ... Luftholen. Genau, dir bleibt die Luft im Hals stecken vor Empörung. Und da ist dann so ein Gefühlgemisch aus Wut, Verständnislosigkeit und ... Scham ... Wieso eigentlich Scham? Demütigung, irgendwie erzeugt Demütigung auch Scham. Was für ein widerliches Gemisch. Wie müssen sich Menschen fühlen, denen das Tag für Tag immer wieder geschieht?

Traurig machte mich der Kommentar des Freundes: "Ach komm, das erlebe ich laufend." Und dann tat er so, als würde es ihn nicht jucken, weil es ja alltäglich ist. ... Leute, das macht etwas mit einem, das steckt man nicht einfach weg. Da bist du ordentlich, arbeitest, bist freundlich, hilfsbereit und bürgerlich engagiert, deine Familie lebt seit mehr als hundert Jahren hier und dann bekommst laufend eines in die Fresse, weil du die Sprache deiner Volksgruppe nicht sterben lassen willst, weil du Traditionen pflegst, weil ... Ach, ich weiß auch nicht warum eigentlich. Es ist zum Kotzen.

Erpressung

"Wir müssen die Grenzen dicht machen und dann die grausamen Bilder aushalten", sagte Gauland dem ZEITmagazin. Man könne sich nicht von Kinderaugen erpressen lassen.


Ein Mensch, der so etwas sagt und auch meint - und ich bin fest davon überzeugt, dass er meint, was er sagt - wird auch dich, wenn du ihm irgendwann nicht mehr passt oder im Wege stehst, ohne mit der Wimper zu zucken in den Staub treten und elendig verrecken lassen. So einfach ist das.

Recht

Da ist ein Knick in deinem Denken: Nur weil ich dafür bin, dass alle Menschen das Recht haben, hier bei uns einen Antrag auf Asyl stellen zu dürfen und wir Menschen aus Kriegsgebieten ohne Wenn und Aber Schutz bieten, unterstellst du mir pauschal so ein krudes Zeugs wie Islamfreundlichkeit (warum eigentlich nicht Christenfreundlichkeit?), Unterstützung von Kleinkriminellen, Gutheißen von sexualisierter Gewalt und Ähnliches. Das ist nicht logisch! Das eine hat mit dem anderen nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Guckst du, Beispiel: Nehmen wir an, du seiest ein fundamentaler Christ, im Heimatland verfolgt, verhaftet, gefoltert. Bekommst in Deutschland Asyl mit deiner Familie. Eines Tages kommt deine Tochter mit blauen Flecken in die Schule, weil du sie verprügelt hast. Weil dein Glauben dir das erlaubt. Sorry. Ich klatsch dich an die Wand und zeige dich an und werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, dass deinem Kind nichts mehr durch dich passiert. Oder du tauchst besoffen in unserer Kneipe auf und baggerst mich übergriffig an. Dasselbe wie eben. Klatsch und Anzeige. Oder ich erwische dich beim Dealen. Anzeige. Oder beim Klauen. Anzeige. Und so weiter, und so weiter. Ja, und es werden auch keine Bilder verhängt oder Zeitschriften aus dem Regal genommen, weil sie dich stören könnten. Bei all dem sind nämlich deine Geschichte und deine Religion ziemlich irrelevant. Du hältst dich wie ich an unsere Gesetze, an die Menschenrechte und an das Grundgesetz. Denn genau die garantieren dir und mir, dass wir hier in Sicherheit und friedlich unser Leben leben können.

Was, ist daran jetzt unverständlich? Wir geben dem Menschen Asyl, nicht der Religion, nicht dem Geschlecht, nicht der politischen Haltung. Ja, sogar ein gestürzter Diktator bekommt bei uns Asyl, wenn Asylgründe vorliegen. Und dann lebt er hier, genau wie wir alle auch. Nach dem geltenden Recht und Gesetz. Das macht für mich einen Rechtsstaat und rechtsstaatliche Gemeinschaft aus. Das ist eine wesentliche Grundlage für den Frieden in unserer Gesellschaft. Alles andere ist Gelabber und propagandistisches Geschwätz. Verstehst du das? Also hör auf, mir irgendeinen Scheiß zu unterstellen. 

Haftung

Ein paar hundert Milliarden Euro kostet Europa wohl dieses Grenze zu und dicht Gedöns. Wieviel fehlte dem UNHCR für die menschenwürdige Versorgung der Leute in den Flüchtlingscamps? Drei oder vier Milliarden? Jesses, nicht mal unter eiskaltem kapitalistischem Kosten-Nutzen-Denken bekommt ihr die Sache auf die Reihe. Ihr seid einfach nur strunz blöd, ihr europäischen Politiker.  

Ich bin jetzt mal ganz altmodisch und sage: Die können sich alle so selten dämlich verhalten, weil sie mit nichts haften für ihre spielerischen Entscheidungen. Sie haften weder mit ihren materiellen Gütern, noch mit ihrer Ehre. Weder mit ihrem Ansehen, noch mit der leiblichen Unversehrtheit. Mit ihrem Leben ja schon gar nicht. Und das eigene Gewissen ist eh schon seit langem begraben. Warum sollte da jemand verantwortliche Entscheidungen treffen, wenn es völlig wurscht ist, was man wie entscheidet? Eben. 

Irrtum

Der große Irrtum: Gäbe es keine Fremden, dann gäbe es auch keine Fremdenfeindlichkeit.

Da wir in dem Fremden, das Fremde in uns spiegeln und so zur Projektionsfläche all unserer Ängste, unserer Verzweiflung, unseres (Selbst) Hasses machen können, genügt uns irgendein beliebiges Subjekt mit minimal gezeichneten Konturen, und sei es auch nur ein imaginäres, dem wir, indem wir es vom Subjekt zum Objekt transformieren, den Stempel „fremd“ aufdrücken, und Schwupps, können wir uns an ihm abarbeiten.

Das Fremde hat nie ein eigenes, individuelles Gesicht, denn sobald es eines hätte, wäre es nicht mehr das Fremde.  

Nicht heilbar

Empathielosigkeit, geistige Dumpfheit, EingewickeltesSein in Vorurteile und dem daraus resultierenden kruden Eigenbild und dem (Selbst) Hass sind nicht heilbar. Die Menschen, die daran kranken, sind im Erwachsenenalter beratungsresistent, zumal sie ja selbst gar keinen Leidensdruck in diese Richtung verspüren. Und wenn sie wirklich irgendwann unter ihrer inneren Haltung leiden würden, dann müsste man, nach meiner Erfahrung, die Zeit ganz weit zurückdrehen und mit jedem Einzelnen jahrelang individuell arbeiten, um auch nur die kleinste Chance auf zumindest Vernarbung zu haben.  Sehr aussichtslos.

Auf der anderen Seite sind diese Menschen jedoch auch wie trockene Schwämme. Sie laben sich an jedweder kleinster, auch negativer, Aufmerksamkeit und blähen sich dann mächtig auf. Sie gänzlich ignorieren wäre eine Möglichkeit des Umgangs damit. Ignorieren heißt dabei nicht, sie nicht wahrzunehmen. Im Gegenteil. Aber, man sollte sie auch nicht füttern.

Was hilft?

Klares, lautes, öffentliches Nein zu jeder widerwärtigen Aktion von denen.
Aber, keine Rechtfertigungsdiskussionen zulassen, kein Köpfchen streicheln, kein Futter geben. Das Signal muss eindeutig sein: „Du bist raus aus dem Diskurs. Du hast dich mit dieser Aktion eindeutig disqualifiziert. Bekomm dich sozialverträglich irgendwie auf die Reihe, dann können wir weiter sehen.“

Und dann: Immer wieder die eigene Haltung und vor allem das eigene Tun dagegen setzen. Wieder und wieder Vorleben, wie es sein sollte/könnte. Freundlich, lachend, ermutigend. Denn um die ganz und gar Verkorksten geht es doch gar nicht, sondern um jene, die dazwischen hängen. Die verunsichert sind, die sich wirklich ängstigen, die nicht wissen, woher mit einer Haltung und wohin dann, wenn man sie hat. Die gilt es abzuholen, zu berühren, zu umarmen und mitzunehmen. Die anderen, die Verbohrten, die laufen sich selbst tot, zerfleischen sich gegenseitig, oder landen mehrheitlich auf der kriminellen Schiene. Ich bin da ganz zuversichtlich. 

Nichts zu verlieren

Aussage eines Freundes, der seit Jahrzehnten in der internationalen Flüchtlingsarbeit tätig und seit Monaten auf der Balkanroute unterwegs ist:

„Es ist anders diesmal. Da sind so viele, vor allem sehr junge Leute, männlich und weiblich, die haben so viel Entsetzliches schon als kleine Kinder gesehen und erlebt, so vieles, was wir uns auch in unseren schlimmsten Albträumen nicht ausmalen könnten. Die Folge ist: Sie haben keine Angst mehr. Auch nicht vor dem Tod. Sie haben ein Bild von ihrer Zukunft im Kopf. Keine Alternative mehr dazu. Sie werden nicht umkehren und sie werden nicht stehen bleiben. Sie werden einfach auf ihr Ziel zulaufen. Beharrlich, schweigend, gewaltlos. Egal was passieren wird, sie werden nicht stehen bleiben. Das ist neu.“   

Religionsgedöns

Unterm Strich: Deine Religion interessiert mich einen Scheiß. Mich interessiert wie du mit Kindern, Frauen, Älteren, mit AndersSeienden und überhaupt mit den Menschen und mit dir selbst umgehst. Also lass mich in Ruhe mit deinen religiösen Argumenten und Rechtfertigungen. Sie sind dein Wahn und machen für mich keinen Sinn.
Dieser ganze Diskurs über falschen und richtigen und halbfalschen und viertelrichtigen Islam oder übers grüne, gelbe, gestreifte Christsein und über dieses Blablablubb und jenes Blubbblabla ist eine elendige Scheindiskussion und zieht Emotionen und Geschrei und Rechthaberei wie das Licht die Motten an. Religionszugehörigkeit ist kein Kriterium für nichts, weil es letztendlich nie um sie geht, sondern immer nur um Macht, Gier, Geilheit, Dominanz, Unterwerfung, Ausbeutung, Sicherung der eigenen Pfründe. War nie anders, ist nicht anders, wird nie anders sein. Also, warum lassen sich kluge Leute immer wieder auf diese Diskurs Schiene ziehen? Ich verstehe es nicht. 

WertWirrungen

Sollen die "die klassisch preußischen Tugenden Geradlinigkeit, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnungssinn, Fleiß und Pflichtbewusstsein vermittelt werden." (aus dem Wahlprogramm der AfD in Sachsen-Anhalt)

Tschuldigung, ich lieg grad lachend unterm Tisch. "Ehrlichkeit" *kreisch ... ... Ich weiß, es ist nicht zum Lachen ... aber ... aber ... diese Aufzählung ... und dann die Typen dazu ... jesses. Ne, oder? ... Ich bekomm die Bilder nicht aus dem Kopp jetzt... Oh, oh, die Latte liegt zu hoch ... aber wenn man keine eigene Latte hat, dann muss man sie halt imaginieren ... Ernsthaft, ich versuch es, zumindest: Liebe AfDler, ihr habt nicht mal einen Hauch von Ahnung, was diese Begriffe bedeuten könnten (und in welchen Kontexten sie vielleicht Sinn machen würden), denn wenn ihr eine klitzekleine Ahnung davon hättet, nur ne klitzeklitzekleine, dann, ja dann wärt ihr nicht in der AfD

Neid

„Wenn ich das richtig verstehe, wusstest du bis gestern gar nicht so genau, was der Hessenpark ist und das wäre auch jetzt, nach dem du es weißt, nicht so eines deiner präferierten Ausflugsziele am Wochenende. Erinnert dich ein bissl zu sehr an Schulausflüge, mit all diesen alten Gebäuden und deren Geschichte. Ne, nicht so dein Ding. Aber! Jetzt! Jetzt lassen die die Flüchtlinge da umsonst rein. Stellt euch das vor! Umsonst! Diese Schmarotzer! Diese, diese Absahner! Diese  … da kommt dir doch die Galle hoch. Unser Kulturerbe fluten die jetzt! Umsonst!“ … … … *denkdenkdenk … Ne, „Kulturerbe“ würdest du wohl nicht sagen. Gehört eher nicht so in deinen Sprachgebrauch, der Begriff. 

Verantwortung

Ich nenne es Freiheit und Verantwortung. Die eine gibt es ohne die andere nicht. Da du ein Mensch bist, kannst du beide auch nicht ablegen, denn sie sind dem Menschsein immanent.

So was Blödes aber auch.



Der Unterschied zur Situation der Flüchtlinge und Migranten: Krieg, Folter, Armut, Katastrophen kannst du dir nicht aussuchen. Sie geschehen dir. Du kannst darauf nur reagieren. Wie? Das ist wiederum die Entscheidung des Einzelnen, mit allen Konsequenzen und Eigenverantwortung. 
Wenn es ums nackte Überleben geht, ist der Entscheidungsspielraum jedoch oft nur ein winzig kleiner und oft ein alternativloser. Das gilt es zu bedenken.